Von räubern und Kuckucken

Bombus vestalis und Sicus ferrugineus auf Centaurea scabiosa
Bombus vestalis und Sicus ferrugineus auf Centaurea scabiosa

Ein Sozialparasit bekommt Besuch von einem Raubparasiten: Kurz nach der Aufnahme des Fotos wird die Kuckuckshummel Bombus vestalis (Gefleckte Kuckuckshummel oder Keusche Kuckuckshummel) von der Gemeinen Breitstirnblasenkopffliege (Sicus ferrugineus) angegriffen. Der Fliege gelingt es vermutlich, ein Ei in den Hinterleib der Hummel abzulegen. Da beide Insektenarten häufig vorkommen, lässt sich ein solches Aufeinandertreffen beim Spaziergang oder im eigenen Garten beobachten.

Dass beide Parasiten auf der Blüte einer Skabiosenflockenblume, Centaurea scabiosa, aufeinandertreffen, ist kein Zufall: Diese Pflanze zieht Bienen, Schmetterlinge, Käfer und Fliegen magisch an. Die Insekten erhalten Nahrung und Larvenfutter in Form von Pollen und Nektar, die Blüte wird bestäubt, beide Partner profitieren voneinander: Ein Paradebeispiel für die als Mutualismus bezeichnete Interaktion zwischen Arten.

Sich die Lebensweise von Parasiten genauer anzuschauen, mag dagegen unappetitlich erscheinen: Raubparasiten wie die Larve der Dickkopffliege "verschonen" die lebensnotwendigen Organe der Hummel zunächst, ehe sie im letzten Larvenstadium ihren Wirt töten und sich im verbleibenden Skelett verpuppen; die Hummelkönigin ihrerseits ist auf der Suche nach einem Hummelnest der Erdhummel, in das sie als Sozialparasit eindringt, die Königin verdrängt, einen Teil der Arbeiterinnen tötet, die anderen unterjocht. Jedoch: Wenn sich die Wahrnehmung unserer natürlichen Umgebung auf schöne Blüten, hübsche Falter und plüschige Hummeln begrenzt, fehlt etwas: ein Verständnis für die Vielzahl der Verbindungen zwischen den Lebewesen, für die unzähligen Wechselbeziehungen und Abhängigkeiten zwischen den Arten unserer natürlichen Umgebung.


Bombus vestalis auf Knautia macedonia
Bombus vestalis auf Knautia macedonia

Bombus vestalis, die Gefleckte Kuckuckshummel, ist ein Sozialparasit - und dabei auf Bombus terrestris, die Dunkle Erdhummel, als Wirt spezialisiert.  In meinem Garten und auf Wanderungen in der Umgebung Bonns sehe ich sie im Frühjahr häufig, was angesichts der Häufigkeit ihres Wirts nicht überrascht. Optisch ähnelt sie der Erdhummel sehr: es fehlt jedoch die gelbe Querbinde auf dem Hinterleib, stattdessen ist das vierte Tergit seitlich gelb gefärbt - und es fehlt natürlich das Pollenkörbchen (Corbicula) am Hinterbein.

Kuckuckshummeln sind ganz und gar von ihrem Wirt abhängig. Um Nachkommen zu haben, muss die Königin dafür sorgen, dass andere sie großziehen. Dafür muss sie in das Nest einer (häufig spezifischen) Wirtshummelart eindringen, ohne dabei selbst getötet zu werden, sie muss Arbeiterinnen und die Königin täuschen, töten oder verdrängen - und sie muss schließlich die Rolle der alten Königin so vollständig einnehmen, dass nun ihre Nachkommen (Weibchen und Männchen, eigene Arbeiterinnen gibt es ja nicht) von den fremden Arbeiterinnen großgezogen werden.

Die beste Zeit hierfür ist im Frühjahr, wenn Erdhummelnester gegründet wurden, jedoch noch nicht zu groß sind. Für Bombus vestalis ist die Erfolgswahrscheinlichkeit einer solchen feindlichen Übernahme gut untersucht (Sramkova, A. & Ayasse, M., 2009):  Übernimmt der Sozialparasit ein kleines Erdhummelnest mit fünf Arbeiterinnen, überlebt die Kuckuckshummelkönigin in jedem Fall - ist das Nest bereits größer und hat zehnmal so viel Arbeiterinnen, überlebt sie garantiert nicht. In dieser Untersuchung wurde außerdem gezeigt, dass Bombus vestalis anhand von Geruchsmerkmalen erkennen kann, wie alt - und damit wie dominant - die fremden Arbeiterinnen sind.  Getötet werden selektiv nur älteren Arbeiterinnen.


Sicus ferrugineus auf Centaurea scabiosa
Sicus ferrugineus auf Centaurea scabiosa

Die Gemeinen Breitstirnblasenkopffliege, Sicus ferrugineus, ist ein Raubparasit oder Parasitoid: Sie legt ihre Eier in Hummeln, die sie beim Blütenbesuch attackiert. Nach der erfolgreichen Ablage eines Eis entwickelt sich die Larve innerhalb von 10 bis 12 Tagen und frisst die Hummel dabei von innen auf. Die Hummel stirbt spät in diesem Prozess, kurz vor der Verpuppung der Fliegenlarve.

Die Larve der Blasenkopffliege nimmt Einfluss auf das Verhalten ihres Wirts: Infizierte Erdhummelarbeiterinnen beginnen kurz vor ihrem Tod damit, sich in den Boden einzugraben, wie Christine B. Müller in einer Studie zeigte. Das bringt der sterbenden Hummel nichts, aber es erhöht die Chancen der sich in ihrem Skelett verpuppenden Fliegenlarve, gut geschützt im Boden bis zu ihrem Schlüpfen im nächsten Frühjahr zu überleben. Welche biochemischen Prozesse hinter einer solchen durch Parasitoide induzierten Verhaltensänderung stehen, ist Forschungsgegenstand der Neuroparasitologie.

Viele andere Raubparasiten entwickeln sich nicht im erwachsenen Tier, sondern in den Larven von Wildbienen. Typische und leicht im Garten oder beim Wandern zu beobachtende Raubparasiten sind Goldwespen und Wollschweber.

 


Coelioxys sp. auf Scabiosa sp.
Coelioxys sp. auf Scabiosa sp.

Brutparasiten (= Futterparasiten oder Kleptoparasiten; bei Bienen: Kuckucksbienen) fressen keine Wirtslarven, nutzen jedoch den Futtervorrat und damit die Brutpflege anderer.

Unter den Wildbienenarten Deutschlands leben rund ein Viertel parasitisch. Kuckucksbienen kommen in mehreren Wildbienenfamilien vor, ihre Lebensweise muss sich in der Evolution mehrfach unabhängig voneinander entwickelt haben. Die Weibchen sammeln keinen Pollen und bauen keine Nester, sondern legen ihre Eier in Nistzellen von Wirtsarten. Dort tötet die geschlüpfte Larve das vorhandene Ei oder die Larve und ernährt sich von deren Futtervorrat. 

Kuckucksbienen sind meist wenig behaart und auffällig bunt gefärbt - auf Gattungsebene sind sie oft ohne weitere Hilfsmittel anzusprechen. Links im Bild eine Kegelbiene, Coelioxys sp., mit der bei den Weibchen auffälligen Kegelform des Hinterleibs; zwei wenig behaarte und bunt gefärbte Wespenbienen (Nomada sp., Bild unten links und mitte links); die auf Schenkelbienen parasitierende Schmuckbiene, Epeloides coecutiens (Bild Mitte rechts); sowie eine Blutbiene oder Buckelbiene (Sphecodes) mit ihrem charakteristischen rotglänzenden Hinterleib (Bild rechts).

Nicht bei allen Kuckucksbienen ist zweifelsfrei nachgewiesen, welchen Wirt bzw. welche Wirte sie haben - für viele Arten ist jedoch eine hohe Spezifität und Bindung an eine einzige Wirtsart wahrscheinlich. Wenn nun bereits die Wirtsart selten und in ihrem Bestand bedroht ist, dann trifft dies auf "ihre" Kuckucksbiene umso mehr zu: Wenn Arten aussterben, nehmen sie weitere Arten mit sich.

 


Bombus terrestris, Königin, Anfang Januar, mit deutlichem Milbenbefall
Bombus terrestris, Königin, Anfang Januar, mit deutlichem Milbenbefall

Bienen werden auch von "echten" Parasiten befallen: Rechts im Bild ist eine winterliche Königin der Dunklen Erdhummel, Bombus terrestris, mit Milben zu sehen. Anders als Parasitoide töten Parasiten ihren Wirt nicht, schaden ihm jedoch: Durch das Saugen von Hämolymphe (das "Blut" der Insekten) werden Larven in ihrer Entwicklung beeinträchtigt und erwachsene Tiere geschwächt. Darüber hinaus spielen die Milben als Überträger von Krankheiten eine Rolle: Denn ja, auch Wildbienen werden von Viren, Bakterien, Einzellern oder Fadenwürmern heimgesucht.

Die bekannteste Milbenart bei Bienen ist vermutlich Varroa destructor - ein Schädling der Honigbiene, gegen den Imker verzweifelt ankämpfen. Ihren ursprünglichen Wirt, die östliche Honigbiene (Apis cerana), schädigt sie längst nicht so stark wie nun die westliche Honigbiene (Apis mellifera) - beide Arten koexistieren vermutlich bereits so lange, dass sich ein Gleichgewicht eingestellt hat. Die Milbe bringt ganze Völker der westlichen Honigbiene zum Kollabieren, wenn sie nicht z.B. mit Ameisensäure behandelt werden.

Bombus terrestris selbst wird inzwischen, genauso wie die westliche Honigbiene, kommerziell gezüchtet und ebenfalls weltweit verschickt: Sie wird inbesondere in Gewächshäusern als guter Vibrationsbestäuber für Tomaten und anderer Nachtschattenpflanzen (Paprika, Chili, Aubergine, Physalis) eingesetzt. Allein: In den Gewächshäusern bleiben die importierten Erdhummeln nicht. In Südamerika haben sie sich innerhalb von wenigen Jahren rasant ausgebreitet und die heimischen Hummelarten fast vollständig verdrängt, wie der britische Hummelexperte Dave Goulson eindrucksvoll in seinem Buch Bee Quest schildert. In einer Studie aus dem Jahr 2013 zeigen Regula und Paul Schmid-Hempel, Dave Goulson und weitere Autor*innen, dass sich Bombus terrestris mit einer Geschwindigkeit von 200 km/Jahr invasiv in Südamerika ausbreitete. Die Hummeln sind mit parasitischen Einzellern infiziert und übertragen diese vermutlich auf die heimischen Arten. Ob darüber hinaus weitere Faktoren wie Nahrungskonkurrenz oder die Konkurrenz um Nistplätze eine Rolle spielen, ist Gegenstand der Forschung. Unübersehbar ist, dass die ursprüngliche Hummelpopulation Südamerikas nicht mehr da ist.

 


Wenn wir an ökologische Abhängigkeiten und Nahrungsketten denken, haben wir meist ein ganz klassisches Räuber-Beute-Verhältnis, wie es im Biologieschulbuch dargestellt wird, vor Augen. Das gibt es bei Wildbienen natürlich auch. Räuber können insektenfressende Vögel sein - oder andere Insekten sowie Spinnen.

Die ersten beiden Bilder zeigen Krabbenspinnen, die Bienen erbeutet haben. Auf dem dritten Bild macht eine Wespe (vermutlich Vespula germanica) eine Biene transportfertig für den Rückflug zu ihrem Nest. Die Bienenjagende Knotenwespe (Cerceris rybyensis) ringt in Bild vier und fünf mit einer pollenbeladenden Schmal- oder Furchenbiene, die sie als Larvenfutter zu ihrer Niströhre bringen wird. Der Bienenwolf (Philanthus triangulum), einmal auf sandigem Untergrund, einmal vor seiner Niströhre in lehmigem Boden (Bild sechs und sieben) hat eine ganz ähnliche Lebensweise, jagt jedoch eher Honigbienen. Der Bienenkäfer, Trichodes apiarius auf einer Schafgarbe, Trichodes alvearius bei der Paarung auf einer Margerite, legt seine Eier in die Niströhren von Wildbienen - die Larven fressen Eier, Larven und Puppen der Bienen. Die Gemeine Keulenwespe, Monosapyga clavicornis, ist im Mai häufig an Insektennisthilfen zu sehen - auf Bild 10 inspiziert sie Bambusröhrchen, die gerade von Hahnenfuß-Scherenbienen befüllt werden. Beim Schwarzblauen Ölkäfer (Meloe proscarabaeus), Bilder 11 und 12, lauern seine kleinen Larven auf Blüten oder auf Grashalmen, klammern sich an Blütenbesuchern fest und lassen sich auf gut Glück mitnehmen. Wenn es Sand-, Seiden- oder Pelzbienen auf dem Weg zur eigenen Niströhre sind, haben die Larven Glück: sie frisst dort Eier, Larven und den Pollenvorrat; wenn es Honigbienen, Schwebfliegen oder Wespen sind, hat sie Pech und verhungert. Das flugunfähige Ölkäferweibchen legt bis zu 10.000 Eier, um die geringen individuellen Erfolgsaussichten auszugleichen.

 


Volucella zonaria auf Orlaya grandiflora
Volucella zonaria auf Orlaya grandiflora

 

Abschließend ein wunderschönes Exemplar der Hornissenschwebfliege, Volucella zonaria - unsere größte heimische Schwebfliegenart. Sie steht für zwei weitere Möglichkeiten, wie Arten interagieren: 

Als Kommensalen ("Mitesser") ernähren sich ihre Larven von toten Insekten in Wespen-, Hornissen- oder Hummelnestern: Sie schädigen den jeweiligen Wirt nicht, sondern sind eine Art unauffälliger Untermieter - und als solcher ganz vom Wirt abhängig.

Die erwachsene Schwebfliege imitiert ihr Vorbild, die Hornisse, in Größe, Färbung und Musterung - und schützt sich damit vor Fressfeinden, die wehrhafte Hornissen meiden.  Ein perfektes Beispiel für die nach Henry Walter Bates benannte Bates'sche Mimikry.