Klimawandelgewinner

Halictus scabiosae, Paarung auf einer Flockenblume
Halictus scabiosae, Paarung auf einer Flockenblume

Artengefährdung und Artenausbreitung: Wildbienen sind, wie viele Insektenarten in Deutschland, in ihrer Existenz gefährdet: Mehr als die Hälfte (53 %) der 561 erfassten Arten wurden in der letzten Rote-Liste-Erhebung (2011) einer der Gefährdungskategorien zugeordnet. Geichzeitig breiten sich manche Arten, die noch vor 30 Jahren selten waren, in einem beeindruckendem Tempo aus. Wie passt das zusammen?

Ausbreitung: Dass sich einige Bienenarten innerhalb der letzten Jahrzehnte vom Süden Deutschlands aus entlang der großen Flußtäler nach Norden und Nordosten hin ausbreiten, ist gut belegt und lässt sich am besten durch den Klimawandel erklären. Viele Wildbienenenarten mögen es warm, trocken und blütenreich - wenig verwunderlich also, dass der Mittelmeerraum mit seinen klimatischen Bedingungen und der damit verbundenen Pflanzenvielfalt ein Hotspot der Wildbienenartenvielfalt in Europa ist. Eindrücklich dargestellt ist dies in einer geografischen Übersicht in der Veröffentlichung der Europäischen Roten Liste für Bienen. In Deutschland führen steigende Jahresmitteltemperaturen und trockene Sommer zu veränderten Umweltbedingungen, die manchen wärmeliebenden Insektenarten eine messbare Ausbreitung erlauben, wie der Biologe Arno Schanowski in seiner Untersuchung zur Auswirkung des Klimawandels auf die Insektenfauna in Baden-Württemberg zeigen konnte. Besonders gut belegt ist die Ausbreitung für zwei auffällige Wildbienenarten, die auch ohne besondere Vorkenntnisse gut zu erkennen sind: die Holzbiene, Xylocopa violacea, und die Gelbbindige Furchenbiene, Halictus scabiosae. Ihre Ausbreitung führt uns den Klimawandel sehr lebendig vor Augen - wenn wir es sehen wollen.

Gefährdung: Wildbienen haben komplexe Anforderungen an ihren Lebensraum, sie benötigen passende Nahrungspflanzen ebenso wie passende Nistplätze und ausreichend Baumaterial - und da sich dies räumlich nicht immer deckt, ist ein Verbund der Elemente in erreichbarer Entfernung Voraussetzung für das dauerhafte Vorkommen einer Art. Dies macht viele Wildbienenpolulationen anfällig für Veränderungen in der Landschaft. Nistplätze werden zerstört und das Nahrungsangebot vermindert oder vernichtet: Durch intensive Landwirtschaft, Siedlungs- und Straßenbau. Populationen schrumpfen und Arten sterben, die Artenvielfalt wird reduziert und die allgemeine Biomasse nimmt deutlich ab, wie die Krefelder Insektenstudie aus dem Jahr 2017 eindrücklich zeigte. Und es geht um mehr als um einzelne Arten: "Arten stehen dabei immer auch für Lebensräume, Ökosysteme und Beziehungsgefüge", so der Artenschutzreport des Bundesamts für Naturschutz aus dem Jahr 2015, in dem für ein Drittel aller in Deutschland vorkommenden Pflanzen- und Tierarten eine Bestandsgefährdung festgestellt wird.

Bilanz: Der langfristige Bestandstrend der Roten Liste der Bienen Deutschlands gibt eine klare Orientierung: Stabil blieben die Vorkommen von 38 % der 561 erfassten Wildbienenarten, einen Rückgang zeigten 40 % der Arten, und nur 1 % der Arten zeigten eine Bestandszunahme.


xylocopa violacea, Blauschwarze Holzbiene

Im Sommer 2019 ist die Holzbiene zum ersten Mal zu Gast in meinem Garten. Nach dem Hitzesommer des Vorjahres und einem milden Winter sind die Bedingungen vermutlich ideal für die überwinternden Bienen - als weiteres Plus kommt der üppig blühende Muskatellersalbei (Salvia sclarea) hinzu. Fast ebenso beliebt sind die Blüten der Breitblättrigen Platterbse, Lathyrus latifolius - diese müssen mit Megachile ericetorum, der Platterbsen-Mörtelbiene, geteilt werden. Während die Holzbiene an den Salbeiblüten Nektar saugt, krümmt sie ihren Körper nach oben und wird dabei mit weißem Pollen eingepudert. Den besondere "Schlagbaummechanismus" bei der Bestäubung dieser großen Blüten, für den es gewichtige Bienen braucht, hat Paul Westrich hier beschrieben. Im ersten Jahr hatte die Holzbiene diese Blüten ganz für sich allen, inzwischen haben jedoch die Wollbienen die Pflanzen entdeckt und deren kämpferische Männchen jagen die Holzbienen vom Hof.

Holzbienen nutzen ein breites Blütenspektrum. Beide Geschlechter überwintern und paaren sich erst im Frühjahr und die Weibchen brauchen für die Anlage ihrer Nester Totholz in sonniger Lage. In seinem Artensteckbrief erläutert Paul Westrich, dass das Vorkommen der Art duch ein ausreichendes Totholzangebot bestimmt wird.


Halictus Scabiosae, GElbbindige Furchenbiene

Halictus scabiosae zeigt, wie die meisten Arten der Gattung Halictus, eine einfache soziale Lebensweise. Sie bildet eine aus zwei Kasten - eierlegende Weibchen und futtersammelnde Hilfsweibchen - bestehende Nestgemeinschaften im Boden an. Im Frühjahr wird der Nesteingang vom eierlegenden Weibchen bewacht, während die Hilfsweibchen Futter heranbringen - wie unten im zweiten Bild sichtbar. Eine solche Frühlingsgemeinschaft löst sich später im Jahr auf und die Hilfsweibchen gründen eigene Nester. Die Dauer der Bruttätigkeit ist länger als bei solitär lebenden Wildbienen, und erst ab Mitte Juli schlüpfen Männchen aus den Nestern. Diese sind schmaler und heller gefärbt als die Weibchen, wie gut auf den Bildern unten zu erkennen ist. Anders als die Fotos es vermuten lassen, ist Halictus scabiosae nicht auf Korbblütler beschränkt, sondern nutzt auch Kardengewächse (daher der Name), Klatschmohn, Bergsandglöckchen, Winden und die Tamariske. Sehr zu empfehlen ist auch hier der Artensteckbrief Paul Westrichs.

Halictus scabiosae braucht warme Standorte, in Bonn und Umgebung ist sie häufig in Weinbergen und auf trockenen, mageren Wiesen anzutreffen - und im Botanischen Garten. In meinem Garten sehe ich sie bislang leider noch nicht.


Zwei Auffällige Grabwespen: Sphex funerarius und Isodontia Mexicana

In seiner Studie zur Auswirkung des Klimawandels auf die Insektenfauna in Baden-Württemberg nennt Arno Schanowski auch zwei auffällige und gut erkennbare Grabwespen als thermophile und vom Klimawandel potenziell begünstigte Insektenarten: die Heuschreckensandwespe, Sphex funerarius, und den Stahlblauen Grillenjäger, Isodontia mexicana.

Sphex funerarius habe ich 2020 an zwei sehr unterschiedlichen Stellen beobachten können: In den Dünen der Ärmelkanalküste an der Côte d’Opale und am Rheingrafenstein an der Nahe - also in einem eher rauen, atlantisch-feucht geprägtem Küstenklima und in einer sonnenreichen, regenarmen und milden Weinbauregion im Westen Deutschlands. In beiden Fällen bin ich durch ein eigentümlich tief zirpendes Insektengeräusch, das aus Löchern in sandiger Erde klang, auf diese große und aufällig schwarz-rot gefärbte Grabwespe aufmerksam geworden. Dutzende Weibchen hatten jeweils eine sandige Stelle mit Löchern versehen, in die sie gelähmte Heuschrecken als Larvenfutter einbrachten - wenn ihnen die Beute nicht von bereits lauernden anderen Weibchen abgejagt wurde. Am Rheingrafenstein nistete ein großes Aggregat der Heuschreckensandwespe auf einem rund 10 Quadratmeter großen flachen und weitgehend vegetationsfreien sandigen Hügel, in dem ebenfalls der Bienwolf, Philanthus triangulum, nistete.

Den Stahlblauen Grillenjäger, Isodontia mexicana beobachte ich regelmäßig im August nektartrinkend auf den kanadischen Goldruten entlang meines Gartenwegs - die ich eigentlich entfernen und durch heimische Pflanzen ersetzen wollte. Inzwischen bin ich froh, dass ich mit der Vorliebe des Grillenjägers für diese Staude aus seiner Heimat einen guten Grund dafür habe, mich auf das Eindämmen zu beschränken und die mühsame Entfernung zu vergessen. Die Goldrute bildet dicht verfilzte und sich ausbreitende Rhizome, sie ist licht- und wärmebedürftig, hat aber keine besonderen Bodenansprüche, sondern wächst in feuchten Auen genauso gut wie auf trockenen Ruderalstandorten. Ihre Blüten bieten im sonst blütenarmen Spätsommer vielen Wildbienenarten, Schmetterlingen, Schwebfliegen sowie dem Stahlblauen Grillenjäger Nektar und Pollen. Dieser stammt, wie die Goldrute, aus Mittel- und Nordamerika. Er wurde in den 1960er Jahren erstmals in Südfrankreich nachgewiesen und breitet sich seitdem in Europa aus. Anders als Sphex funararius nistet er nicht im Boden, sondern in oberirdischen Hohlräumen wie hohlen Stängeln und in Holzlöchern, wo er bevorzugt Weinhähnchen (Oecanthus pellucens) als Larvennahrung einbringt. Weinhähnchen sind ihrerseits eine wärmeliebende Insektenart, die ich noch nie gesehen habe, nun jedoch aufgrund des Stahlblauen Grillenjägers weiß, dass sie in Bonn vorkommt - es sei denn, der Grillenjäger weicht hier auf eine andere Beute aus.


Nezara viridula, Grüne Reiswanze

Die bezaubernd schönen Nymphenstadien der Grünen Reiswanze, Nezara viridula, habe ich im heißen Sommer 2018 in meinem Garten kennengelernt. Die ursprünglich ostafrikanische Art breitet sich weltweit aus und hat dabei schon längst die Tropen und Subtropen hinter sich gelassen. Kein Wunder also, dass sie nach einem milden Winter 2018 so weit nördlich in Bonn vorkam. Ihre Etablierung in Deutschland wird von landwirtschaftlichen Forschungseinrichtungen aufmerksam verfolgt, da sie ein hohes Schädlingspotenzial im Obst- und Gemüsebau hat. Ich kann das nur bestätigen: Die hübsche Reiswanze blieb nicht auf auf den Malven, Nachtkerzen und Blütenständen des Alant, sondern nagte und saugte an meinen Tomaten, Himbeeren, Äpfeln und Beerenkiwi. Die erwachsenen Wanzen ähneln der Gemeinen Stinkwanze, Palomena prasina, können jedoch aufgrund von drei bis fünf weißen Punkten am Vorderrandes des Schildchens gut unterschieden werden. Wanzen gehören zu den hemimetabolen Insekten: Mit jedem durch eine Häutung beendeten Jugendstadium (Nymphe) wird die Ähnlichkeit zum erwachsenen Insekt (Imago) größer. Forschende in Japan untersuchten die Ausbreitung von Nezara viridula in Japan seit den 1960er Jahren in Abhängigkeit von Temperaturen im Winter. Die Wanze konnte sich dort etablieren, wo die Winter mild genug geworden waren: Die mittlere Temperatur im Januar und die Zahl kalter Tage wurden als wichtigste Faktoren für die nördliche Verbreitungsgrenze der Reiswanze ausgemachen - und diese rückt kontinuierlich nach Norden.