Gemüse kommt vom Meer


WildKohl, Brassica Oleracea Var. Oleracea

Brokkoli und Grünkohl, Rot- und Weißkraut, Wirsing, Spitzkohl, Rosenkohl, Kohlrabi und Blumenkohl: Ihr wilder Verwandter, Brassica oleracea var. oleracea, wächst auf den Dünen, Klippen und Kiesstränden des französischen Atlantiks. Im Blog The botanist in the kitchen zeigen die Autorinnen, wie sich die Wildpflanze ändern musste, damit die fantastisch unterschiedlich aussehenden Kulturformen des Kohls entstanden sind:

-  Kohlrabi ist das Resultat eines enorm verdickten unteren Pflanzenstängels, der einige wenige Kohlblätter trägt,

- Weißkohl, Rotkohl, Spitzkohl und Wirsing zeichnen sich durch gestauchte Internodien (die Sproßachse zwischen zwei blättertragenden Knoten) aus: Da es also kaum mehr einen Abstand zwischen den Blättern gibt, bilden diese eine kopfförmige Sproßspitze,

-  beim Rosenkohl sind die Internodien der seitlichen Stängeltriebe gestaucht, der Haupttrieb jedoch nicht, es entstehen seitlich stehende "Röschen",

-  beim Brokkoli sind die Blütenknospen des Kohls nicht mehr locker angeordnet, sondern dicht zusammengedrängt: auch hier sind Stängelabschnitte gestaucht, nun jedoch nicht zwischen blättertragenden Nodien, sondern zwischen den Blütenknospen,

-  Blumenkohl geht noch einen Schritt weiter, es entstehen gar keine Blütenknospen mehr im gestauchten Blütenstand, sondern das für die Blütenentwicklung zuständige Teilungsgewebe (das florale Meristem) teilt sich undifferenziert weiter, es bildet also keine Blütenknospen, sondern den "Kopf" des Blumenkohls - der, umhüllt von grünen Kohlblättern, weiß bleibt,

-  der Wildform am ähnlichsten sind Grünkohl und Palmkohl, hier unterscheiden sich die Blätter und weniger die Wuchsform der Pflanze.

 

Klippen von Cap Blanc Nez
Klippen von Cap Blanc Nez
Klippen von Étretat
Klippen von Étretat
Klippen von Étretat
Klippen von Étretat

Ob der atlantische Kohl wirklich die Stammform unserer Kohlarten ist oder ob umgekehrt der atlantische Kohl aus bereits früher und an anderen Orten domestizierten Kulturformen des Kohls verwildert ist - ein Kulturflüchtling aus römischen Siedlungen also - ist nicht abschließend geklärt. Offen bleibt demnach, ob Kohl von Kelten oder von Griechen und Römern domestiziert wurde - und ob die Urform des Kohls vom Atlantik oder aus dem Mittelmeerraum stammt. Eine Arbeit zur "Domestication of Brassica oleracea L." findet sich hier: https://pub.epsilon.slu.se/12424/1/maggioni_l_150720.pdf . Der Autor, Lorenzo Maggioni, sieht starke Hinweise für einen mediterranen Ursprung des Kohls. Dass von allen Wildformen der Gattung Brassica der atlantische Wildkohl am engsten mit den Kulturformen des Kohls verwandt ist, kann die Plausibilität einer "Re-Naturalisation" stützen: Es gab zuerst einen genetischen Domestizierungs-Flaschenhals - und alle davon abstammenden Kohlpflanzen, einschließlich des atlantischen Wildkohls, sind eng miteinander verwandt.



Meerkohl, Crambe MaritimA; Ambleteuse, Cote D'opale

Meerkohl (Crambe maritima) ist eine wirklich taffe Pflanze, die an der Ärmelkanalküste am Kiesstrand bis hin zum Spülsaum wächst. Links oben im Bild eine Meerkohlpflanze nach einer starken Flut, rechts daneben Meerkohl mit Früchten, unten links besiedelt der Meerkohl den unteren, steinigen Bereich der Dünen, unten rechts ist die typisch türkis-violette Färbung der dicken Blätter zu sehen.  Die Pflanze ist kein Kohl (Brassica), aber nah verwandt, da auch die Gattung Crambe zum "Kohl-Tribus" (Brassiceae) in der Familie der Kreuzblütler (Brassicacea) gehört. Meerkohl ist, wie auch der Wildkohl, eine traditionell genutzte Gemüsepflanze, die gesammelt und z.T. auch in Gemüsegärten kultiviert wurde - sammeln sollte man den Meerkohl auf keinen Fall, dafür ist er viel zu selten geworden. Meerkohl blüht im Mai und Juni und überrascht durch einen süßen Blütenduft ohne jeden Kohlgeruch.


 

Die gewaltigen Kieselstrände zwischen der Baie de la Somme und den Kreidefelsen, die bei Ault beginnen und die Normandie einläuten, sind ein harscher Ort für viele Pflanzen, aber ideal für Meerkohl. Im April treiben violette Blätter und Knospen zwischen den Kieseln.

 

Anfang Juni ist die beste Zeit für den blühenden Meehrkohl, hier in großen weißen Blütewolken in den Dünen zwischen Wissant und Cap Blanc Nez.


Wilde Rübe, Beta Vulgaris subsp. maritima

Die Stammform von Mangold, Roter Beete, Zuckerrübe und Futterrübe ist eine prächtige Pflanze mit glänzenden Blättern und unscheinbaren Blüten, die an der ganzen Atlantikküste im Kies und Sand der Dünen, und Kies der Felsen gedeiht. Die Pflanze im Vordergrund des linken Bilds zeigt rötliche Blätter und Blattstängel, die uns von Roter Beete und gefärbten Mangoldarten vertraut sind. Der verantwortliche Farbstoff ist Betanin, nicht Anthocyan: Beide Stoffwechselwege schließen sich gegenseitig aus, und Pflanzen aus der Ordnung Caryophyllales, zu der Beta vulgaris gehört, produzieren Betanin für eine Rotfärbung.

 

Finistère, Oktober, Wilde Rübe mit roten Blättern
Finistère, Oktober, Wilde Rübe mit roten Blättern
Finistère, Oktober, Wilde Rübe und Meerfenchel
Finistère, Oktober, Wilde Rübe und Meerfenchel
Ambleteuse, Juni, blühende Wilde Beete
Ambleteuse, Juni, blühende Wilde Beete


GEmüse und Kräuter in Wissant,  Cote d'opale

In Wissant, einem kleinen Dorf in der Nähe von Calais, führen Pfade und begrünte Straßen durch das Dorf. Die Grenzen zwischen drinnen und draußen, zwischen Garten und Straßengrün, sind wunderbar fließend. Malven, Mohn, Spornblumen, Rittersporn und Löwenmäulchen wachsen, wo es ihnen gefällt, genauso Schnittlauch und Artischocken, Spargel und Petersilie. Was war zuerst, die Kulturform im Gartenbeet oder die Wildform aus den Wiesen und Dünen? Wächst da wirklich Petersilie an der Bordsteinkante oder ist es ein eng verwandter Doldenblütler? Stammt der in der Pflasterritzen blühende Schnittlauch aus dem nahen Garten oder wächst verwilderter Schnittlauch schon seit Beginn des Ackerbaus hier? Warum wurded die Cardy unter eine Weide pflanzen - oder hat sie sich diesen Ort selbst ausgesucht? Beim Spargel stellt sich, wie schon beim Kohl, die Frage, ob hier ein wilder Vorfahr oder eine wieder verwilderte Form der Kulturpflanze wächst - oder ob es die Kulturform ist, die auf magerem Boden einfach etwas weniger üppig aussieht. 


Meerfenchel, Crithmum Maritimum; Guidel, Bretagne

Meerfenchel (Crithmum maritimum; rock samphire) wurde früher auf den Klippen gesammelt und auf Märkten verkauft. Gesammelt wird die Pflanze inzwischen nicht mehr, kommerziell angebaut aufgrund der eher speziellen Standortansprüche und der bei Doldenblütlern unzuverlässigen Keimung auch nicht. 


Wasserkresse, Nasturtium officinale; Cap blanc nez, COTE D'OPALE

Wasserkresse (Nasturtium officinale) ist kein Halophyt und wächst deshalb nicht am Strand, aber auf den Klippen von Cap Blanc Nez: dort, wo aus den Felsen Quellen entspringen - denn fließendes Wasser und einen kalkhaltigen Boden mag die Wasserkresse schon. So wird sie auch in Hampshire in Großbritannien angebaut: in fließendem, kalkhaltigem Wasser. 


ackerlauch, allium ampeloprasum; Colares, Portugal

Vom Ackerlauch (Allium ampeloprasum) stammen Lauch und Perlzwiebeln - er bildet sowohl Zwiebeln als auch eine klassische Porreestange mit zweizeilig angeordnetem grünen Laub. 


Löffelkraut, Cochlearia Sp.; Finistère im September, Normandie in April

Das Löffelkraut (Cochlearea sp.) ist ein scharf und gleichzeitig bitter schmeckender Kreuzblütler, der früh im Jahr blüht, bereits im April bilden die Pflanzen Blütenteppiche entlang der Klippen der Normandie, und dessen Blattrosetten später im Jahr und den Winter durch grüne, saftige Blätter hervorbringen. Sie enthalten viel Vitamin C und wurden gegen Skorbut verwendet.